Gedanken zum Osterfest von Pfarrerin Anne Lüters
Die Nacht zwischen dem Ostersamstag und dem Ostersonntag ist etwas ganz Besonderes – voller Symbolik und Verheißung. Das beginnt für mich, wenn ich am Vorabend des Osterfestes mit so vielen anderen den Domberg hinaufsteige und das riesige Feuer im Domhof bestaune – Zeichen der Kraft und Freudenfeuer zugleich. Und während ich mich an den Abstieg mache, denke ich an die vielen, die jetzt im dunklen Dom sitzen und das Licht erwarten und dann die befreiende Botschaft hören: „Christus ist das Licht“. Wenn mitten in der Nacht die Glocken läuten – dann erklingt es zum ersten Mal: „Der Herr ist auferstanden!“
Auch vor unserer Kirche brennt ein Feuer, wenn wir morgens um halb sechs zu unserer Osternacht kommen. Die Jugend hat die Nacht durchgewacht und das Feuer entfacht. Und jetzt beginnt bei uns die Feier, bei der das Licht die Dunkelheit durchbricht – wie an so vielen anderen Orten. Alle geben ihrer Hoffnung Ausdruck: Es muss nicht immer dunkel bleiben, Schrecken und Tod haben nicht das letzte Wort, das Leben siegt.
Das ist in dieser Zeit oft schwer zu glauben: Während ich dies schreibe, sind die Schreckensnachrichten der letzten Woche noch ganz präsent: St. Petersburg, Chan Scheich, Stockholm und zuletzt Tanta und Alexandria – Städtenamen, die wie Chiffren stehen für tausendfaches Leid. Wie soll man Auferstehung feiern in einer Welt, in der der Tod zu herrschen scheint? Wie Ostern in einer Welt, die – christlich gesprochen – im Karfreitag stecken geblieben ist?
Ostern ist das verletzlichste und das kräftigste Glaubenszeugnis der Christenheit. Schon die ersten Nachfolger Jesu sahen sich in zweifacher Weise in der Kritik: für ihren Glauben an einen Gott, der leidet und erbärmlich stirbt – kann, ja darf ein Gott denn so schwach sein? – und für ihre Behauptung, dass dieser Eine auferstanden sei und damit die unausweichliche Logik des Todes zerbrochen habe. Beides war für die Menschen damals eine Zumutung.
Und heute? Christlicher Osterglaube ist nach wie vor für viele eine Herausforderung. Das zeigen Anschläge auf koptische Kirchen, das zeigen IS-Botschaften, die christliche Rückkehrer in den Irak an ihren Häusern finden: „Oh ihr scheiß Kreuzsklaven“. Das zeigen aber auch Reaktionen unserer Gesellschaft, die Ostern weitgehend aus dem Bewusstsein verbannt hat. Weil es keiner einfachen Logik folgt und weil es unbequeme Fragen stellt.
Ostern hat revolutionäre Kraft, denn es findet sich nicht ab mit dem, was ist. Für Christen ist seit Ostern nichts mehr alternativlos – bis auf die Liebe. An dieser Liebe gilt es kompromisslos festzuhalten gegen den ganzen Hass, der immer wieder aufbricht. Christen, die sich zu Ostern bekennen, finden sich nicht ab mit einem System von Gewalt und Gegengewalt und lassen sich – hoffentlich – nicht von der Angst leiten. Denn sie glauben an einen Gott, „der aus allem, selbst aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will“ und der dazu Menschen braucht, „die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen“(Dietrich Bonhoeffer).
Es sind für mich deshalb auch Osterspuren, wenn Menschen in ganz Europa für die Europäische Idee auf die Straße gehen. Und dass sich Tausende von Bürgern in Stockholm versammelt haben, um dem Schrecken gemeinsam die Stirn zu bieten. Aufstehen gegen das scheinbar Unvermeidliche, Beängstigende und Hass Schürende – auch das ist ein Stück von Ostern.
Die Opfer der Anschläge, die syrischen Kinder und die koptischen Christen, die in der Ausübung ihres Glaubens starben – sie alle werde ich in diesem Jahr in Gedanken in die Dunkelheit der Osternacht mitnehmen. Nein, der Tod hat nicht das letzte Wort – auch ihr Tod nicht. So klein und unscheinbar die helle Flamme in die finstere Kirche einzieht, so leise - manchmal fast nicht wahrnehmbar und doch unzerstörbar - bricht sich Auferstehung Bahn.
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